So oft dreht sich die Kommunikation von Sei So Frei darum, was wir alle gemeinsam bewirken können, welch großen Unterschied wir zusammen ausmachen können. Das ist ohne Frage einer der schönsten Aspekte unserer Arbeit und Ihrer Solidarität. Dennoch gibt und gab es immer Menschen, die unabhängig von der sie umgebenden Gesellschaft die Welt nachhaltig verändern. Einer der beeindruckendsten von ihnen war der Erzbischof von San Salvador, Óscar Romero, in dessen Gedenken wir im November den Romero-Preis in Linz verleihen.
Das Leben und Wirken dieser Lichtgestalt war vom Kampf für soziale Gerechtigkeit und politische Reformen geprägt. Romero gilt als einer der prominentesten Verfechter der Befreiungstheologie, wurde zweimal für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen und 2015 von Papst Franziskus selig- und 2018 heiliggesprochen. Seine Ermordung durch Todesschwadronen der damals amtierenden Regierung El Salvadors 1980 entzündete einen Bürgerkrieg in seinem Heimatland, während dessen 12-jährigen Verlaufs mehr als 75.000 Menschen ums Leben kamen. Solch unfassbare Auswirkungen entstehen nicht zufällig. Óscar Arnulfo Romero y Galdámez galt als zurückhaltender Mensch und zu Beginn seines Engagements als konservativ. 23 Jahre lang wirkte er als Gemeindepriester, danach als Sekretär der Bischofskonferenz, Weihbischof und ab 1977 als Erzbischof von San Salvador, der Hauptstadt El Salvadors. Zu dieser Zeit steckte das mittelamerikanische Land in einer tiefen Krise. Reiche Großgrundbesitzer und Militärs versuchten mit aller Macht, demokratische Bestrebungen der armen Bevölkerung zu unterdrücken. Es kam zu massiven Wahlfälschungen und Demonstrationen, während derer etliche Menschen ermordet wurden. Romeros Freund, der Jesuitenpater Rutilio Grande, war der Erste einer unglaublich langen Reihe von Priestern, Ordensleuten und Laien, die von Paramilitärs im Auftrag reicher Bürger ermordet wurden. Dessen Gedenkmesse, die von Romero zelebriert wurde, besuchten mehr als 100.000 Menschen.Sie wurde zum Wendepunkt im Leben des Erzbischofs. Er nutzte fortan seine Predigten als politische Situationsanalysen, rief gegen Ungerechtigkeit und Unterdrückung, Folter und Mord auf. Er schenkte seine Stimme all jenen, die keine hatten, wandte sich an die eigene und an fremde Regierungen und unterstützte die leidende Bevölkerung bei jeder sich bietenden Gelegenheit, während sich die Situation weiterhin dramatisch zuspitzte. Ab Oktober 1979 installierten Teile des Militärs ein totalitäres System staatlichen Terrors. Die Guerilla antwortete mit Gegenterror. Zu diesem Zeitpunkt herrschte nicht überall in der Kirche Zuspruch zu Romeros politischem Engagement. Mehrmals musste er sich in Rom rechtfertigen, da er teils als „Instrument linker politischer Gruppen“ galt.
„Eine Kirche, die sich nicht die Sache der Armen zu eigen macht, um das Unrecht anzuprangern, das man an den Armen begeht, ist nicht die wahre Kirche Jesu Christi. […] Angesichts solcher Gewalttaten […] muss man in der Tat von einem Martyrium im modernen Stil reden.“ Mit Worten wie diesen reagierte der Erzbischof auf solche Vorwürfe. Sein Einsatz war bereits lange Zeit von Todesdrohungen begleitet und seine Reden bezeugten stets seinen unbeirrbaren Standpunkt. In seiner letzten Predigt wandte er sich direkt an die Angehörigen der Armee, der Nationalgarde und der Polizei, wofür ihm vorgeworfen wurde, ein Vergehen am Rande des Gesetzes begangen zu haben: „Kein Soldat ist gezwungen, einem Befehl zu folgen, der gegen das Gesetz Gottes verstößt. […] Wir fordern die Regierung auf, die Nutzlosigkeit von Reformen anzuerkennen, die aus dem Blut des Volkes entstehen. Im Namen Gottes und des leidenden Volkes, dessen Wehklagen täglich eindringlicher zum Himmel steigen, ich flehe Sie an, bitte Sie inständig, ersuche Sie im Namen Gottes: Machen Sie der Repression ein Ende.“ Nur wenige Stunden später wurde Romero, am Altar in einer Krankenhauskapelle stehend, von Todesschwadronen erschossen. Zu seinen Begräbnisfeierlichkeiten kam eine Million Menschen, daraus entstand ein Massaker mit 40 Todesopfern. Danach eskalierte der Bürgerkrieg, der erst 1992 endete, erst recht.
Óscar Romero wurde weltweit zur Symbolfigur für mutigen Widerstand, für den Einsatz für Arme und Entrechtete und auch für Entwicklungszusammenarbeit. Sein Mut und seine Hingabe sind Vorbild für so viele Menschen und Einrichtungen. Auch für Sei So Frei. In seinem Gedenken wird jährlich einer der bedeutendsten österreichischen Menschenrechtspreise vergeben, der von der Katholischen Männerbewegung ins Leben gerufen worden ist. Viele außergewöhnliche Menschen wie zum Beispiel Waris Dirie, Bischof Erwin Kräutler oder Saria Amillen Anderson wurden seit 1980 damit ausgezeichnet. In diesem Jahr freuen wir uns besonders, dass diese Auszeichnung im Brucknerhaus Linz im Rahmen einer feierlichen Veranstaltung an unsere Mitarbeiterin in
Guatemala, Mayra Orellana, vergeben wird. Die Auszeichnung ist nicht nur eine Verbeugung vor der großartigen Arbeit dieser Menschen, sondern bringt für viele der Preisträger*innen auch einen nicht zu unterschätzenden politischen Schutzaspekt in ihren Heimatländern. Gerade jene Menschen, die sich am meisten engagieren, sind viel zu oft Repressalien und mitunter Gewalt ausgesetzt. Wie auch Óscar Romero das war.
Mehr zur Romero-Preisverleihung im November in Linz:
>> ROMERO-PREISVERLEIHUNG // 4. OKTOBER 2022