Als ausgebildeter österreichischer Chirurg engagierte er sich im nicaraguanischen Bürgerkrieg (ab 1979) und wechselte Ende der 1980er Jahre in die Projektarbeit. Pedro Rupilius (li. im Bild) prägte das Gesundheitswesen und die allgemeine Entwicklungszusammenarbeit durch seine Ruhe, Effizienz, Kreativität und die stetige Wertschätzung aller Themen und Involvierten nachhaltig. Nun ist er als Regionaldirektor des Lateinamerikabüros von Horizont3000 in den wohlverdienten Ruhestand gegangen. Für die aktuelle Ausgabe unseres Magazins, den Weltblick 03/2019, stand er uns im Juni 2019 für ein Interview zur Verfügung.

Pedro, was sind die größten Herausforderungen der Entwicklungshilfe in Nicaragua?
Die größten Herausforderungen der Entwicklungszusammenarbeit (EZA) in Nicaragua sind derzeit im Zusammenhang mit der sozio-politischen Situation zu betrachten. Das Regime erschwert die Arbeit der Nichtregierungsorganisationen, weil diese als regierungskritisch angesehen werden. Zu den schon seit jeher bestehenden bürokratischen Hürden kommen neue hinzu: Zwei Male im Jahr muss eine Genehmigung für die Arbeit der NGOs beim Innenministerium beantragt werden, Sondergenehmigungen für die Eröffnung von Bankkonten sind vonnöten, häufige Kontrollen des Finanzministeriums und der Sozialversicherung verzögern die Arbeit, etc. Des Weitern sind derzeit Vorhaben im Bereich der Verteidigung der Menschenrechte kaum durchführbar, weil die Menschenrechtsorganisationen  kriminalisiert und verfolgt werden.

Und was sind die größten Chancen der Entwicklungshilfe in Nicaragua?
Sowohl im Bildungsbereich als auch im Bereich der ländlichen Entwicklung (hier vor allem bei der Förderung agroökologischer Anbaumethoden) sehe ich die größten Chancen nachhaltig einzuwirken. Andererseits bedarf es derzeit einer Unterstützung im Bereich der Versöhnung unter den Menschen, um der politischen Polarisierung entgegenzuwirken. Friedensarbeit ist vor allem in den ländlichen Gebieten ein Muss!

Was werden Sie maßgeblich hinterlassen?
Wichtig sind meines Erachtens konkrete Ansätze der EZA im Bereich der Agroökologie zur Adaptierung der Nahrungsmittelproduktion an den Klimawandel, die Schaffung von dualen Aus- und Weiterbildungsmodellen in den ländlichen Gebieten, die kontinuierliche Arbeit mit den jungen Generationen, der Genderansatz…  Des Weiteren besteht ein Team vor Ort, das professionell arbeitet, methodisch sehr bewandert ist, um Projekte partizipativ zu entwickeln und zu begleiten.

Benötigt erfolgreiche Entwicklungshilfearbeit mehr Kreativität oder mehr Dogmatik?
Kreativität ist ein wichtiges Element für die erfolgreiche EZA. Diese Kreativität sollte aber auf Erfahrungswerten und tiefgehender Kenntnis des Umfeldes und der Zielbevölkerung basieren, damit die Zielbevölkerung nicht als Versuchkaninchen benützt wird. Ein andauernder Austausch von Erfahrungen, Literaturdurchsicht und Diskussion mit den Partnerorganisationen ist hierbei sehr hilfreich.

Worauf sind Sie stolz?
Stolz können wir sein auf die 13 Jahre EZA mit FADCANIC (Anm.: Sei So Frei-Partnerorganisation) bei der Entwicklung des bilingualen Bildungsmodells in PLACE (Pearl Lagoon Academy for Excellence) in Pearl Lagoon, das inzwischen als Referenz für die restlichen Schulen der Umgebung gilt, und auf die Unterstützung der Kakaokooperative UNCRISPROCA, eine Unterstützung die beigetragen hat, dass es die Bevölkerung des Gebietes am Río Grande geschafft hat, von der extremen Armut  und Lebensmittelunsicherheit zum ersten Direktexporteur von Edelkakao zu werden. Des Weitern bin ich stolz auf die Beiträge, die die Universitäten URACCAN und BICU mit unserer Unterstützung leisten im Bereich der Forschung und Schaffung von nachhaltigen Entwicklungsmodellen im ländlichen Bereich.

Wie schätzen Sie die Zusammenarbeit mit Sei So Frei in Nicaragua ein?
Das erste Highlight war mit Sicherheit die Unterstützung der Universität URACCAN bei derern Entstehung und Weiterentwicklung. „Was, eine Uni mitten im Busch?? Englischlehrer-Ausbildung mitten im Busch, wo die Leut‘ doch kaum lesen können???“ – Zweifler haben damals gemeint, dass diese Ideen nichts weiter als Hirngespinste seien. Inzwischen hat URACCAN mehr als 4.000 Studierende, bildet unter anderem Lehrkräfte, ÄrztInnen, SozialarbeiterInnen,  Forst- und LandwirtInnen und JuristInnen aus. Inzwischen haben die jungen Leute der Atlantikregion die Möglichkeit erlangt, sich weiterzubilden, um einen Beitrag zur Entwicklung ihrer Territorien zu leisten. Sei so Frei hat von Anfang dieses damals  so unsichere Unterfangen unterstützt.
„Kakao exportieren? Die Leut‘ nagen am Hungertuch, können weder lesen noch schreiben, die Kakaoplantagen sind von der Monilia (Anm.: Pilzkrankheit) befallen…. Na, das wird sicher nichts!“ – Inzwischen (15 Jahre danach) exportieren die Bäuerinnen und Bauern ihren Edelkakao nach Österreich und haben die Zertifikate für Fairtrade und bilogische Produktion, die Kinder gehen zur Schule, ein großer Anteil der Bauernfamilien hat Sonnenenergie….
Die Zusammenarbeit mit Sei so Frei hat sich immer ausgezeichnet durch die kollegiale und professionelle Auseinandersetzung und Diskussion über Alternativen bei der Entwicklungszusammenarbeit. Innovationen waren möglich, ja erwünscht. Der Mensch und dessen Entwicklung standen immer im Mittelpunkt, Lernen und Lehren waren gleichermaßen erwünscht.

Mehr Infos:
>> Modellschule PLACE
>> Kakaokooperative UNCRISPROCA